Lange habe ich mir überlegt, ob ich die folgenden Zeilen schreiben soll.
Schöner wäre es natürlich, wenn es so was gar nicht erst geben würde.
Aber das Leben fragt nicht immer danach, was uns gefällt.
Als ich Renate W. kennenlernte im Jahr 2006 war sie noch selbstständige Bilanzbuchhalterin,
hatte ein BWL-Studium hinter sich und bewohnte ein kleines nettes Häuschen in einer kleinen Siedlung.
Besonders hat mir der völlig katzenausbruchsichere kleine Garten gefallen.
Frau W. war gepflegt und trug gute Kleidung als sie mich besuchte und sich ein
Persermädchen aussuchte.
Über die Vermittlung wurden wir uns schnell einig. Ich brachte die Katze dorthin und freute mich.
Zwar konnte ich schon sehen, dass Frau W. nicht unbedingt einen Putzfimmel hatte, aber es war okay.
Einer Katze ist es egal, ob man wöchentlich Staub wischt und wie oft man die Fenster putzt.
Und die anderen beiden Katzen, die sie noch hatte, machten einen guten Eindruck.
Dann traf ich Frau W. immer wieder beim Einkaufen. Sie wußte immer, wo es die besten
Sonderangebote gibt. Und ich war auch mal zum Essen eingeladen. Sie kocht ganz vorzüglich.
Warum man allerdings so etwa drei Weißweinschorle bei größter Sommerhitze zum Essen trinken muss,
war mir nicht klar. Aber ich mag keine Wein und lasse jedem seine Vorlieben.
Und dann verlor ich sie aus den Augen. Bis zum 30.09.2012. Denn da teilte man mir mit,
dass genau diese Katze im Tierheim eingeliefert worden ist.
Aus einer verwahrlosten Wohnung. Total verdreckt, vermüllt und und und.
Was ich dann noch erfuhr, zog mir den Boden unter den Füßen weg.
Frau W. war ins Krankenhaus gekommen. Sie hatte 10 cm lange verdreckte Fingernägel,
war total verwahrlost und verdreckt.
Die Wohnungsräumung wird derzeit vom Vermieter veranlasst und für sie ist die Unterbringung
in einer betreuten Wohnform vorgesehen. Das Ordnungsamt hat ihr alle Katzen weggenommen.
Das liest sich furchtbar. Und das ist es auch. Meine erster Gedanke war:
"Renate, Du alte Drecksau". Inzwischen habe ich meine Emotionen wieder etwas im Griff und
ich versuche die menschliche Tragödie hinter diesen Ereignissen zu sehen.
Ein Mensch völlig am Ende.
Woher will ich wissen, was mal mit mir passieren wird? Vielleicht habe ich die Erlebnisse
einfach nur noch nicht gehabt, die mich so tief runterziehen könnten.
Das ist eine tragische Erkenntnis: ich kann nur dann vielen Tieren helfen, wenn ich
ich sie auch vermittle. Aber dann muß ich loslassen. Und ich kann sie nicht auf
immer und ewig gegen das allgemeine Lebensrisiko absichern. Und sie werden
das Schicksal ihrer neuen Besitzer teilen, im Guten wie auch im Schlechten.
Für Irma, so heißt die Perserkatze, kam das genau rechtzeitig.
Ich holte sie sofort aus dem Tierheim und sie machte einen guten Eindruck.
Aber dann, drei Tage später, stellte sich heftige Atemnot ein,
sie röchelte mit offenem Mund und heraushängender Zunge. Alarmierend schlecht.
Erst tippte ich auf Asthma. Meine Notfallversorgung half nicht und ich raste zum
Notdienst mit ihr: Wasser in der Lunge. Eine schlimme Diagnose.
Therapie in der Schnelle auf Verdacht: Erst einmal Entwässern.
Nun wird sie auf Herz- insuffizienz behandelt und es geht ihr viel besser.
Sie wird aber medikamentenpflichtig bleiben.
Wäre dieser Notstand kurz zuvor in ihrer alten Heimat aufgetreten,
dann wäre sie qualvoll erstickt. Und es wäre noch nicht einmal bemerkt worden.
Vielleicht irgendwann mal von den Nachbarn wegen dem Gestank.
Irma wird bei mir bleiben und sie bekommt ihr Gnadenbrot. Niemals habe ich Katzen
einfach so behalten, weil mir immer klar war, dass auch mal eine hängen bleiben wird.
Sie wird vielleicht auch nicht mehr lange leben, aber sie soll es noch schön haben.
Ich möchte an ihr einiges wieder "gut machen", wenn man das überhaupt kann.
Keine Ahnung, ob ich es bin, aber ich fühle mich schuldig.