- Stuttgarter Nachrichten 02.08.2005 Seite 17 106 Zeilen LOKA -
Ob Herkules sagenhafte Kraft besitzt, wissen wohl nur seine Artgenossen. In jedem Fall aber herrscht er in gewisser Weise über das Leben von Kerstin Kalchert. "Ich verreise nie", sagt sie, während sich der Prachtkater von ihr kraulen lässt.
Kerstin Kalchert lebt inmitten von Katzen. Diverse Körbe, verteilt auf die ganze Wohnung, zeugen davon. Daisy, Ole, Strolchi und Herkules lagern auf Kissen, Sesseln und Sofas und mustern Besucher mit unergründlichem Blick.
Jedes Tier hat eine zumeist unerfreuliche Geschichte. Herkules war ein herrenloser Kater, der in Kaltental herumstrolchte und mehr schlecht als recht überlebt hat. Die 39-jährige Stuttgarterin nahm ihn zu sich, heute ist der zehn bis 15 Jahre alte Kater einer ihrer anschmiegsamsten Mitbewohner.
Daisy lag vor neun Jahren als junge Katze mit ihren Geschwistern in einer Mülltonne. Dass sie auch Besuchern gefällig auf den Schoß springt und sich zum Schmusen anschickt, könnte man als Zeichen von Dankbarkeit interpretieren. Ole gleicht einer Siamkatze und hat betörend blaue Augen. "Vor sechs Jahren wollte ihr Besitzer sie nicht mehr, weil sie immer vor ihm geflüchtet ist." Etwas zutraulicher ist Ole inzwischen geworden, wenngleich auch Kerstin Kalchert seine Reißzähne schon zu spüren bekam. Und Strolchi, ein schwarz-weißer langhaariger Riesenkater, lebt bei ihr, weil seine Vorbesitzerin keinen Gefallen mehr an seiner Fellfärbung fand.
Die vier Katzenschicksale eröffnen nur ein kleines Spektrum dessen, womit Kerstin Kalchert nahezu Tag für Tag konfrontiert ist. Denn sie pflegt nicht nur liebevoll ihr eigenes Samtpfotenquartett, sondern auch weitere Pensionsgäste. Die haben ihr Domizil einen Stock höher, im Katzenzimmer.
Seit Jahren ist Kerstin Kalchert aktives Mitglied der Katzenhilfe Stuttgart, ein Verein, der sich um Findlinge, Streuner, kranke und ausgesetzte Tiere kümmert. "Manche werden ausgesetzt, wenn ihre Besitzer umziehen, und stromern dann halb verhungert durch die Wohngebiete, manche entlaufen von Bauernhöfen, manche werden von ihren Besitzern abgegeben", sagt sie.
Abend für Abend durchstreifen die Aktiven von der Katzenhilfe die Stadt, suchen die einschlägigen Aufenthaltsorte der streunenden Vierbeiner auf, füttern die Tiere an und fangen sie schließlich ein. Ein Tierarzt befreit die Katzen von Parasiten und kastriert sie, um weiteren Heerscharen ein qualvolles Vegetieren in freier Wildbahn zu ersparen. Danach vermittelt die Katzenhilfe die Tiere an neue Besitzer.
Der Verein hat keine Anlage für die Tiere, stattdessen bietet ihnen unter anderem Kerstin Kalchert ein vorübergehendes Obdach. "Ich habe in einem Jahr schon 50 bis 70 Katzen durch die Wohnung geschleust", sagt sie, und wischt Bedenken um den Zustand der Möbel und Tapeten vom Tisch: "Schauen Sie sich um, hier gibt es keine Schäden." In der Tat ist die barock gehaltene Einrichtung tipptopp, die Wohnung penibel sauber, kein Katergeruch hängt in der Luft, "man muss nur jeden Tag putzen".
Man muss aber auch jeden Tag zu Hause sein. "Ich bin ständig unterwegs, habe einen großen Freundeskreis, aber abends komme ich immer heim", sagt die Diplom-Verwaltungswirtin. Nur dreimal trat sie bisher eine längere Reise an: nach England, nach Berlin und nach Spanien, "aber dort haben mich allein schon die vielen herrenlosen und überfahrenen Tiere gestört".
Selbst eine Einladung nach Las Vegas schlägt die Verwaltungsangestellte aus: "Ich kann außerhalb meiner vier Wände mein Leben nicht mehr so leben, wie ich will, ich langweile mich im Urlaub." Vielleicht, vermutet sie, gehe das auch anderen Leuten so, "nur traut sich das niemand zu sagen, weil sich Verreisen eben gehört". Ihren vierbeinigen Pensionsgästen kann's nur recht sein.
Barbara Czimmer-Gauß
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- Stuttgarter Nachrichten 29.07.2008 Seite 16 92 Zeilen LOKA -
Die 17-jährige Siamkatze Mimmi hat ein neues Zuhause. Endlich. Die 48-jährige Marion Dziggel aus Jettingen bei Herrenberg nimmt sich fortan der Katze an. Die Vermittlung war deshalb besonders dringlich, weil ihre 79-jährige pflegebedürftige Besitzerin im Sterben liegt und deren Wohnung in Büsnau bald aufgelöst wird. Die letzte Sorge der gebrechlichen Seniorin galt ihrer gerade einmal drei Pfund schweren Rassekatze Mimmi, die wegen ihrer Unverträglichkeit mit anderen Vierbeinern schwer anderweitig unterzubringen war.
Ohne die guten Kontakte des Vereins Freundeskreis Katze und Mensch, der das Gesuch in unzähligen E-Mail-Verteilern platzierte, würde Mimmi ihren Lebensabend in einem überfüllten Tierheim verbringen müssen. Dabei hat die betagte Siamesin schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Vor Jahren wurde sie von Tierschützern aus einem Keller befreit, nachdem sie ihre ersten Besitzer während des Urlaubs dort eingesperrt hatten.
Als die todkranke Besitzerin Mimmis erfuhr, dass sich fortan ein neues Frauchen ihres Lieblings annimmt, "hat sie geweint vor Glück", erzählt Tierschützerin Kerstin Kalchert, deren Mutter Dorothea sich zuvor um die Nachbarskatze gekümmert hatte.
Der 1995 gegründete gemeinnützige Verein Freundeskreis Katze und Mensch mit mittlerweile rund 2500 Mitgliedern vermittelt nicht nur herrenlose Katzen, sondern impft und kastriert auch verwilderte Streuner. Der Tierschutz, der dem Verein im vergangenen Jahr mehr als 70 000 Euro wert war, ist das zweite Standbein des Freundeskreises.
Schwerpunkt der Vereinsarbeit, die sich in der Region auf neun Ortsgruppen verteilt, ist die kostenlose Katzenbetreuung, Catsitting genannt. Mitglieder helfen sich gegenseitig und versorgen die Samtpfoten in den vier Wänden des Halters, während dieser im Urlaub oder Krankenhaus ist.
Seine geliebten Katzen würde Andreas Volk niemals ins Tierheim geben. "Die ungewohnte Umgebung bedeutet puren Stress für die Tiere", sagt der Besitzer von drei Katzen. Wenn Familie Volk Ferien macht, kommt ein Mitglied der Kornwestheimer Gruppe zweimal am Tag in die Wohnung im Iltisweg, füttert die drei europäischen Kurzhaar-Katzen und säubert das Katzenklo. Streicheleinheiten für die Schmusetiger gibt es inklusive, auch Blumen gießen und Briefkasten leeren sind im Service inbegriffen. Extrawünsche wie eine sanfte Radiobeschallung im Hintergrund werden ebenso erfüllt, zur Not mit Zeitschaltuhren. "Wir verabreichen den Katzen auch Medikamente oder gehen mit ihnen zum Tierarzt", sagt Gruppenleiterin Cornelia Grigo.
Damit die Unterstützung nicht auf Einseitigkeit beruht, gibt es ein Punktekonto, das die Betreuungstage erfasst. Zwar kennen sich die Mitglieder meist vom monatlichen Stammtisch der Ortsgruppen, doch letztlich ist Catsitting auch eine Frage des Vertrauens. Cornelia Grigo beruhigt: "In all den Jahren gab es noch keinen Missbrauchsfall." Nur einmal, da sei ein Zierfisch versehentlich gestorben. Endgültig geklärt wurde die Todesursache nicht. Ob eine Katze im Spiel war?
Weitere Informationen zu den Katzenfreunden unter der Telefonnummer 0 71 41 / 4 18 06.
Miezenasyl während der Ferien im Internet unter: www.katzenfreunde.de
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